Ich der Stromer
... auf Wanderschaft
erlebt und erzählt von
K A R L M O R I T Z T R E N K L E R
1920 - 1924
3 von 28 Kurzgeschichten
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So saß ich denn eines Tages zu früher Stunde an einem gar trauten Plätzchen. Wie im Traum stand vor mir eine alte Kapelle, getaucht in einen gespensterhaft flimmernden Nebelhauch.
Die mattgrünen Rasenflecken davor, erschienen gleich einem zarten Wasserdunst.
Hinter dem Kirchlein ragten je rechts und links vom Turme eine alte Lärche zum Himmel empor. Geschmückt mit bräunlichgrünen Knöpchen, die hier und dort ziemlich willkürlich angebracht zu sein schienen, wirkten sie wie zwei unartige Riesenkinder.
Einzelne Bäume im Hintergrunde mit nur sehr unsicheren Umrissen gaben der Landschaft ein parkartiges Gepräge. Gleich einem Geiste strich ein Käuzchen dahin und zerriss mit seinem unheimlichen Ruf noch einmal die Morgenstille. Nun aber waren auch die ersten Piepser unserer gefiederten Sänger zu hören und Momente später schon durchbrach eine Blaumeise kopfüber, kopfunter, das Geäst.
Mutter Sonne hatte die zarten Nebelschwaden aufgelöst und das Firmament bedeutend aufgehellt. Ja, der erste Sonnenstrahl umschmeichelte schon die Lärchenspitzen. Soeben noch rötlich, jetzt schon rot in den mannigfaltigsten Nuancierungen, entfalteten sich diese Baumriesen in einhzigartiger Pracht. Das schieferne Kapellentürmchen nahm die ersten Lichtreflexe auf und ließ sie launenhaft auf sich herumtänzeln.
Violett in vielen Schattierungen zeigte sich Dach und Gemäuer und bot dem Auge wohltuende Kontraste zu den leicht smaragdgrünen Färbungen des Horizontes. Ein herrliches Farbenspiel entwickelte sich . Tausendfältig blinkte und blitzte es überall. Wie kleine Daimanten leuchteten die Tautropfen. Doch nicht lange währte diese divine Schönheit. Der Himmel wird blauer und gleichför
miger. Die Flur vom Morgenlicht überschüttet.
Zwei Meisen balgten sich im Efeubusch des tiefen Kapellendaches. Als kleines Federbündel rollten sie mir in die Hände und ließen erst voneienader los, nachdem sie sich ihrer Lage bewusst geworden waren.
Ich steckte den einen der Kampfhähne in die rechte und den anderen in die linke Rocktasche.
Doch warum eigentlich? Fliegt dahin und freut euch des Lebens!
Guten Morgen!
Fünf magische Minuten im Schwarzwald
In steter Erinnerung wird mir der Schwarzwald mit seinen herrlichen Bergen und Tälern bleiben und jeder, der ihn kennt, wird ebenfalls wissen, mit welch verschjwenderischer Schönheit dieses Stückchen Erde aus dem Füllhorn der Schöpfung überschüttet wurde.
Schwarz stand vor mir der Wald. Er strömte erhabene Stille aus. Unter den mächtigen Baumriesen kam ich mir vor wie ein Gnom, hilflos und doch keiner Hilfe bedürfend. Um mich herum lagen, als Beute des Alters, einige halbverfauende Urwaldriesen, um nun nach ihrem Bestehen anderen Lebewesen als Nahrung und Unterschlupf zu dienen.
Das Dörflein unter mir leuchtete im Zauber des Abendsonnenscheines und noch einmal erlebte ich die Magik des Auferstehungsfestes mit. Es lockte mich dorthin zu gehen, hinunter ins Dorf.
Die Häuser waren allesamt neu getüncht und manche Fassade sogar mit einem neuen oder neu hergerichteten Kruzifix geschmückt. Ich lenkte meine Schritte auf eines der größten Bauernhäuser. Durch´s Fenster sah ich eine stattliche Tafelrunde, um einen ebensolch stattlich gedeckten Tisch gereiht. Hoch über der Haustür schmückte ein großes, nagelneues Kruzifix die schneeweiß getünchten Mauern.
Die Bauernfrau kam gerade aus der Kücke, um mit der Neuauflage eines fetten Bratens in die Gästestube zu gehen. Bescheiden frug ich nach etwas zu Essen. Da die Frau keine Antwort gab, stand ich einige Minuten unschlüssig vor der Haustüre. Dann jedoch kam sie zurück, mir ein Stück trockenes Brot zu geben. Ich wagte den Einwand, ob sie mir nicht eine Kleinigkeit dazu geben könne, da ich ja schon einen Rucksack voll Brot hätte und beim besten Willen kein trockenes Brot mehr essen könne. (Dies entsprach der tat, da ich seit Tagen nichts als trockenes Brot gegessen hatte). Die Frau jedoch kam auf mich zu und schrie mich an: " Was? - Sie Stromer, Sie Tagedieb, dem lieben Gott die Tage stehlen, das können Sie, und wenn Ihnen mit trockenem Brot nicht gedient ist, dann haben Sie auch keinen Hunger, scheren Sie sich zum Teufel ! "
Hierauf nun erwiderte ich : " Es wundert mich wirklich, dass Ihr die Frechheit habt, Euer Haus mit einem Christus zu zieren, aber noch viel mehr wundert es mich, dass dieses Kruzifix noch dort oben hängt. " Wobei ich auf das am Giebel angebrachte neue Kreuz zeigte.
Kaum aber hatte ich diese Worte ausgesprochen, als plötzlich das fast meterhohe Kreuz zu Boden stürzte, dicht am Kopfe der Bäuerin vorbei sauste und in tausend Splitter zertrümmerte.
Der Bäuerin entfuhr ein heftiger Aufschrei des Entsetzens. Wir beide standen wie am Boden angewurzelt. Die Gäste waren aufgesprungen und murmeleten geheimnisvoll durcheinander. Nachdem die Bäuerin den ersten Schreck überwunden hatte, bat sie mich unter den heißesten Beschwörungen, die Tage des Osterfestes doch hier zu verbringen, alle anderen taten dasselbe. Mein Inneres aber wehrte sich dagegen und so zog ich dann tief beeindruckt von dannen. In der Einsamkeit aber ließ ich das Ostererlebnis noch einmal auf mich wirken, und es tut es noch bis auf den heutigen Tag.
Auf der Wanderschaft mit einem Hotelburschen
Ob Hotelbursche nun gerade ein Beruf ist, weiß ich nicht: Johann jedenfalls behauptete es stewif und fest. Auch hieß er eigentliche garnicht Johann, sondern Kurt. Diesen Namen hatte er, wie er sagte: " freiwillig als Opfer seines Berufes " angenommen, da ein Hotelbursche auf keinen Fall den so schlichten Namen Kurt tragen dürfte. Nun ja, so hat eben jeder seinen Stolz.
Nun trug es sich zu, dass Johann und ich im näcjsten Dorfe "Klinken putzten" (bettelten). " Du nimmst die Häuser auf der rechten Seite, " sagte er, " während ich die auf der linken Seite abklopfte. Am Ausgang des Dorfes treffen wir uns dann wieder. " Das also waren die Unterweisungen, nach denen ich mich auch richtete. Da das Dörfchen nur klein war, trafen wir uns sehr bald an der verabredeten Stelle.
Der Ertrag wurde aufs Gra gelegt und dann zu gleichen Teilen verteilt. Nicht wenig erstaunt aber war ich über die Sammelaktion meines Johann. Außer verschiedenen Stücken Brot, brachte er noch ein großes Stück Wurst, sowie 10 Eier aus seinen Riesentachen hervor.
" Siehst Du, mein Lieber, so macht man das! " triumphierte er, indem er mir mit der Wurst vor der Nase herumfuchtelte. " Du bist scheinbar noch ein Grünhorn auf diesem Gebiet, doch was nicht ist, kann noch werden! " ergänzte er. Auf meine Frage, wie so etwas denn zuginge, meinte er: " Wenn man irgendwo angeklopft hat und es hat sich niemand gemeldet, dann tritt man ganh einfach in die stube. Ist man erst mal drin, dann heißt es, sich regen bringt Segen und Du weißt ja auch, dass Geschwindigkeit keine Hexerei ist. "
Doch pst, was kommt so still und stumm, dort durch Busch und Dorn und Korn? Ein Schwarm Bauern mit allen erdenklichen Prügelinstrumenten umringte uns. Wir umzingelt. Die gestohlene Wurst sowie die eier lagen auf dem Boden und waren die sichersten Beweise unserer Schuld. MitGebrüll gingen die Bauern zum Angriff über. Wir bezogen nunmehr eine Tracht Prügel, wie ich sie vor- und nachher niemals wieder bekommen habe und wurden dann zum Ortsvorsteher geschleppt. Obgleich ich nunmehr meine Unschuld beteuerte und den Sachverhalt genauestens wiedergab, musste ich doch das Ortsgefängnis im hohen Turm mit meinem Reisekumpel teilen. Zwei harte, vollständig verlauste Lager, füllten dies kleine Turmverlies fast vollständig aus und so blieb uns also nichts anderes übrig, als vorlieb zu nehmen.
Ich machte dem Dieb die bittersten Vorwürfe. Dieser aber lachte mich nur aus und sagte: " Du wirst schon noch dahinter kkommenb. " Bald jedoch schlief ich fest ein und erwachte erst am nächjsten Morgen wieder. Zu meinem größten Erstaunen aber war Johann verschwunden. Der schreck lähmte mir fast die Glieder. Die Tür, die gestern Abend vom Ortsdiener durch Schloß und Riegel verschlossen worden war, war nur leicht angelehnt. Meine Habe war noch vorhanden. Zitternd schlich ich die Wendeltreppe hinunter und fand auch die untere Tür aufgebrochen. Also war auch mein weg frei. Nach einigem Zögern schlich ich davon wie ein Dieb. Um die Ecke aber kam in diesem Moment gerade der Ortsdiener mit einem Krug Wasser und einem Stück Brot, welches man uns wohl oder übel nach alter Sitte zugestehen musste. Als er mich erblickte, schlug er Sturm. In den nächsten Momenten jagte ich wie ein gehetztes Wild durch die Flur, wurde wiederum wie gestern gefangen, um dann ebenfalls eine fast solch unbarmherzige Tracht Prügel zu beziehen, wie gestern.
Nach einem nochmaligen Verhör aber glaubte man meinen Worten einiges Verhör schenken zu können, doch es war leider zu spät. Die Prügel, die man hat, nimmt einem keiner mehr ab. Man schenkte mir aber die Freiheit.
Schimpfend und fluchend zog ich von dannen und hätte zu gern mit Johann noch mal ein "vernünftiges" Wort gesprochen.
Ich hatte mir vorgenommen, ihm die Knochen einzeln zu brechen, doch auch in diesem Falle kam es eben, wie Sie sehen werden, so ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte.